Alles rund um die nervige Begleiterscheinung „Fatigue“ bei MS. Von einem Betroffenen für Betroffene, oder Angehörige, aber natürlich auch alle anderen. Damit man einen Einstieg in das Thema findet, habe ich das wie folgt aufgezogen:
Lets fetz und rein in das Thema.
Was ist denn überhaupt Fatigue bei MS?
Fatigue ist eines der häufigsten auftretenden und zugleich am wenigsten verstandenen Symptome der Multiplen Sklerose (MS). Etwa 80 % der Betroffenen berichten von einer chronischen Erschöpfung, die ihren Alltag massiv beeinflusst. Ich habe das auch und manchmal kann das wirklich ganz schön nerven. Doch was genau ist diese Fatigue?
Im Unterschied zur, ich nenne es mal „normalen“ Müdigkeit, die nach einer anstrengenden Woche oder einer schlaflosen Nacht auftritt und sich durch Ruhe beheben lässt, ist Fatigue ein tiefer, nicht proportional zur Anstrengung stehender Energieverlust. Selbst nach ausgiebigem Schlaf bleibt die Erschöpfung bestehen. Sie betrifft sowohl den Körper als auch den Geist: Gedanken werden zäh, Bewegungen fallen schwer und gefühlt alle Reize überfordern.
Wenn sich das übrigens mit einer Nacht mit schlechtem Schlaf doppelt, was Gott sei Dank selten bei mir vor kam bisher, kann ich den Tag direkt abhaken. Klingt drastisch, aber liegt leider nicht in meinem Beeinflussungsbereich.
Die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) beschreibt Fatigue als „nicht vorhersehbare, oft plötzlich auftretende Minderung der körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit“. Sie kann Minuten oder Stunden dauern, tritt manchmal morgens direkt nach dem Aufstehen auf oder entwickelt sich schleichend über den Tag.
Fatigue ist also unsichtbar. Und genau das macht sie so nervig: Für das Umfeld wirkt die betroffene Person „gesund“, obwohl innerlich die Energie auf der letzten Rille pfeift. Dieses Missverständnis führt nicht selten auf beiden Seiten zu Frustration. Aber vielleicht kann da ja dieser Artikel ein bisschen Verständnis auf beiden Seiten schaffen.
Wie entsteht MS-Fatigue?
Die Ursachen der Fatigue bei MS sind komplex und noch nicht vollständig geklärt. Also wie so einiges im Zusammenhang mit MS. Wissenschaftler gehen von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem mehrere Aspekte zusammenwirken:
Entzündliche Prozesse im ZNS: Die bei MS typischen Entzündungen stören die Signalweiterleitung im Gehirn und Rückenmark. Das Nervensystem muss „Umleitungen“ bauen, was mehr Energie kostet.
Störung des Energiehaushalts: Es gibt Hinweise, dass die Mitochondrien (ihr erinnert euch: die Kraftwerke der Zelle) bei MS weniger effizient arbeiten. Energie steht also generell in geringerem Maße zur Verfügung.
Schlafstörungen: Viele MS-Betroffene leiden unter Durchschlafproblemen, Spastik oder Schmerzen in der Nacht, das schraubt die Regeneration zusätzlich runter.
Medikamente: Bestimmte MS-Therapien (z. B. Interferone) können Fatigue als Nebenwirkung auslösen bzw. verstärken.
Psychologische Faktoren: Depressionen, Angst oder Stress verstärken das Erleben von Erschöpfung, können aber auch Folge der Fatigue sein. Ein klassisches Henne-Ei-Problem.
Studien zeigen außerdem, dass Fatigue häufiger bei Menschen mit langjähriger MS oder vielen Schüben auftritt. Allerdings kann sie auch ganz am Anfang der Erkrankung das erste Symptom sein. Ich wünsche Euch auf jeden Fall, dass ihr möglichst lange davon verschont bleibt.
Symptome: So zeigt sich Fatigue im Alltag
Fatigue bei Multipler Sklerose ist kein „Ich bin halt müde“-Gefühl. Sie ist wie ein plötzlicher Stromausfall: eben noch voller Energie und im nächsten Moment ist alles dunkel. Für Außenstehende oft unsichtbar, für Betroffene eine tägliche Realität. Maximal anstrengend. Und auf längere zeit halt auch irgendwie schwer zu erklären.
Typische Fatigue-Symptome bei MS:
Plötzliche Erschöpfung ohne körperliche Anstrengung
Du bist fünf Minuten spazieren gegangen und dein Körper verhält sich, als hättest du einen Marathon gelaufen.
Mentale Erschöpfung & Konzentrationsprobleme
Ein einfaches Telefongespräch fühlt sich an wie ein Uni-Abschluss. Und dann gibt’s noch nicht mal ‘ne coole Urkunde am Ende.
Schweregefühl in Gliedmaßen
Arme und Beine fühlen sich an, als seien sie aus Blei. Oder wie nach einem langen Tag, nur halt direkt nach dem Aufstehen. Braucht keiner.
Überreiztheit & Reizbarkeit
Selbst banale Reize wie Geräusche, Stimmen und Licht können plötzlich nervlich überfordern.
Nicht erholsamer Schlaf
Selbst nach acht Stunden im Bett: keine Besserung. Der Akku lädt nicht richtig, ganz gleich, wieviel Ampere das Ladegerät hat.
Warum Fatigue tückisch ist:
Das Fatigue-Syndrom bei MS ist meiner Erfahrung nach nicht proportional zur tatsächlichen Belastung. Manchmal kommt sie zeitverzögert, der sogenannte „Payback Day“: Heute geht’s noch und morgen liegst du flach. Als ich mit dem Sport anfing, hatte ich das nicht verstanden und habe mich regelmäßig weggefetzt… Aber man lernt ja nie aus. Bitte macht nicht den gleichen Fehler.
Erschwerend hinzu kommt: Fatigue ist nicht objektiv messbar, also es gibt keine Laborwerte, kein bildgebendes Verfahren, womit der Erschöpfungsgrad angezeigt werden kann. Das macht sie schwer greifbar für Ärzt:innen, für Angehörige und auch für die Betroffenen selbst. Eine typische Aussage, die wohl jeder Betroffene gehört hat: “Das bildest du dir nur ein…” Nee, mach’ ich nicht, aber leider kann ich’s dir auch nicht erklären. Also lass mich einfach. Ich hätte es auch gerne anders. Danke.
Ein Beispiel aus dem Alltag:
Ich saß mit Freunden abends zusammen. Wir haben gelacht, geredet, alles fühlte sich ganz normal an. Doch plötzlich war es, als ob jemand den Stecker zog. Ich konnte kaum noch sprechen, mein Kopf war leer, Gespräche verschwammen. Hieß: Ich musste gehen. Einfach so. Aus dem nichts. Gefühlt mitten im Satz. Tschüss Jungs & Mädels.
Also merken, weil wichtig: Fatigue ≠ Faulheit
Viele Menschen mit MS erleben Stigmatisierung oder Unverständnis. Aussagen wie „Du siehst doch fit aus“ oder „Vielleicht brauchst du nur ein bisschen Bewegung“ verkennen die Tiefe des Symptoms. Fatigue ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine neurobiologische Dysfunktion, die das Leben grundlegend verändern kann.
Fatigue vs. Depression: Wo liegt der Unterschied?
Fatigue und Depression treten bei MS häufig gemeinsam auf, doch sie sind nicht identisch. Ihre Unterscheidung ist wichtig, da sich Therapie und Umgang fundamental unterscheiden. Ich hoffe, dass ich es hinbekomme, hier im Beitrag raus zu arbeiten.
Was sie gemeinsam haben:
Erschöpfung, Antriebslosigkeit; Rückzug aus sozialen Situationen; Konzentrationsprobleme & Stimmungsschwankungen
Diese Überschneidungen erschweren die klare Diagnose. Dennoch lassen sich Unterschiede erkennen, sowohl subjektiv als auch klinisch:
Zentrale Unterschiede:
| Merkmal | Fatigue | Depression |
| Ursache | Neurophysiologisch, entzündlich | Neurochemisch, psychologisch |
| Stimmung | Häufig stabil, manchmal gereizt | Niedergeschlagen, hoffnungslos |
| Motivation | Wille ist da, aber Energie fehlt | Kein Antrieb, kein Interesse |
| Erschöpfung | Plötzlich, unabhängig von Aktivität | Meist schleichend, oft mit innerer Leere |
| Besserung durch Aktivität | Manchmal ja (z. B. Bewegung hilft) | Eher nein, Aktivität fällt schwer |
Diagnostik und Abgrenzung:
Ein erfahrener Neuro- oder Psychologe kann mit gezielten Fragen und Tests unterscheiden, ob primär eine Depression oder eine Fatigue vorliegt oder vielleicht sogar beides. Wichtig: Beide Zustände sind behandelbar! Macht euch deswegen keinen Stress und setzt euch nicht zusätzlich unter Druck. Die Behandlungen benötigen jedoch unterschiedliche Strategien.
Wer Fatigue mit Antidepressiva behandelt, verfehlt womöglich die Ursache. Und wer Depression als „nur müde“ abtut, riskiert, den psychischen Druck zu ignorieren.
Fatigue und Depression haben Überschneidungen, aber auch klare Unterschiede. Wer MS-bedingte Erschöpfung erlebt, sollte nicht pauschal psychologisiert werden. Gleichzeitig darf man Depression nicht ausblenden. Beides braucht Anerkennung und dem entsprechend passende Hilfe.
Was hilft gegen Fatigue bei MS?
Fatigue lässt sich leider (noch?) nicht heilen, aber sie ist von dir beeinflussbar. Ich habe mir einen Mix aus körperlichen, kognitiven und organisatorischen Strategien gebastelt. Hier kommen meine wirksamsten Ansätze, die wenn man sich genauer damit befasst sogar wissenschaftlich gestützt sind:
1. Bewegung
Wer hätte es gedacht? Regelmäßige körperliche Aktivität verbessert nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern kann auch Fatigue lindern. Studien zeigen, dass insbesondere moderates Ausdauertraining (z. B. Walking, Schwimmen, Radfahren) hilfreich ist.
Wichtig: nicht überfordern! Lieber regelmäßig und niedrigintensiv z. B. im Herzfrequenzbereich 2 (da isser wieder) als selten und intensiv.
2. Energie-Management
Der Körper ist keine Batterie mit 100 % Kapazität, sondern eher ein Akku mit unberechenbarer Ladung. Deshalb: Prioritäten setzen, Pausen einplanen, Tätigkeiten in kleine Blöcke aufteilen. Das Prinzip „Pacing“ kommt eigentlich vom Laufen, aber hilft auch im echten Leben, die Energie sinnvoll zu verteilen. Frag’ dich doch einfach öfter mal die Fragen:
Was ist heute wirklich wichtig?
Was kann jemand anders übernehmen?
Wo kann ich bewusst langsamer machen?
3. Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Psychologische Begleitung kann helfen, Denk- und Handlungsmuster anzupassen. KVT hat sich laut Studien als wirksam bei MS-Fatigue erwiesen insbesondere, wenn Stress oder Grübeln die Symptome verstärken.
4. Kühltechniken gegen hitzebedingte Fatigue
Viele MS-Betroffene reagieren sensibel auf Wärme, ich bin einer davon. Das ist das sogenannte Uhthoff-Phänomen. Kühlwesten (da bin ich noch nicht, aber es gibt sie), kalte Duschen oder Coolpacks im Nackenbereich können hier sofortige Erleichterung bringen.
5. Alltag strukturieren & Umfeld einbeziehen
Fatigue ist kein persönliches Versagen, sondern ein Symptom. Offene Kommunikation mit Familie, Freund:innen und Kolleg:innen hilft, Missverständnisse zu vermeiden. Auch Hilfsmittel, digitale Kalender oder To-do-Apps können entlasten.
6. Medikamentöser Ansatz
Einige Wirkstoffe (z. B. Amantadin, Modafinil oder 4-Aminopyridin) werden off-label zur Behandlung von Fatigue eingesetzt. Die Wirksamkeit ist individuell verschieden, teils umstritten und sollte stets mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Ich selbst habe es noch nicht ausprobiert, aber es ärztlich angeboten bekommen. Habe es der Vollständigkeit halber hier mit aufgeführt.
Alltag mit MS und Fatigue: Ein realistischer Blick
Das Leben mit Fatigue erfordert keinen ständigen Kampf, den Gedanken möchte ich hier gar nicht aufkommen lassen, sondern ich möchte es als eine flexible Navigation beschreiben. Die Herausforderung liegt doch gar nicht nur im Symptom selbst, sondern in der ständigen Anpassung an ein Energielevel, das nie gleich bleibt. Fatigue macht keine Termine, sie kündigt sich nicht an und lässt sich selten „wegdisziplinieren“. Kann man meiner Meinung nach so annehmen.
Ich glaube Menschen mit MS-Fatigue lernen schnell: Struktur gibt Sicherheit, aber Raum für Flexibilität ist Pflicht. Was gestern gut ging, kann halt heute schon zu viel sein. Deshalb gilt für mich:Tagespläne grob skizzieren, aber nicht durchtakten; Pufferzonen einbauen für spontane Erschöpfung oder nötige Pausen; To-dos nach Energiebedarf staffeln. Und zack, geht alles schon einfacher von der Hand.
Fatigue ist unsichtbar und das macht sie erklärungsbedürftig. Statt sich zurückzuziehen oder zu rechtfertigen, hilft offene Kommunikation:
„Ich würde gern mitkommen, aber mein Energielevel reicht heute nicht.“
„Ich brauch zwischendurch Pausen, dann bin ich wieder besser ansprechbar.“
Diese Ehrlichkeit schafft Verständnis und oft auch Erleichterung.Mir persönlich fällt das überhaupt nicht leicht, diese Kommunikation zu führen. Aber wenn ich mich mal dazu überwinde, ist es oft ein großer Stein, der von meinem Herzen fällt.
Akzeptanz ist kein Aufgeben
Akzeptanz heißt nicht, sich der Fatigue zu ergeben. Es heißt, den eigenen Energiehaushalt ernst zu nehmen, ohne sich selbst zu entwerten. Wer akzeptiert, dass manche Tage leise sind, hat mehr Kraft für die lauteren. Und die sind eh besser!
Kleine Erfolge zählen groß
Oft wird unterschätzt, wie viel Energie einfache Dinge kosten. Deshalb lohnt es sich, auch kleine Fortschritte bewusst wahrzunehmen:
Der Einkauf ohne Pause geschafft? Geilo.
Heute kein Mittagsschlaf nötig? Maschin:in.
Nach dem Spaziergang noch Energie für einen Kaffee? Check.
Diese Mini-Erfolge sind die Basis langfristiger Resilienz. Ist einfach so.
Digitaler Alltag
Technologie kann Fatigue erleichtern: Sprachassistenten, To-do-Apps, Erinnerungsfunktionen. Gleichzeitig kann digitale Reizüberflutung die Erschöpfung verstärken. Hier gilt: digital bewusst statt dauerhaft online.
Humor hilft auch irgendwie
Klingt banal, ist aber wissenschaftlich belegt: Lachen reduziert Stresshormone und kann Erschöpfung subjektiv lindern. Selbstironischer Umgang mit der eigenen Situation schafft oft Verbindung und Leichtigkeit.
„Ich hab heute nichts geschafft und das sogar sehr effizient.“
Fazit: Fatigue ernst nehmen und besser verstehen
Fatigue bei MS ist mehr als ein Symptom, sie ist ein kleiner, fieser, ungewaschener sowie unsichtbarer Gegner im Alltag, ein mentaler und körperlicher Kraftzehrer. Was für ein uneingeldener Affe. Doch mit dem richtigen Wissen, realistischen Erwartungen und flexiblen Strategien lässt sich besser damit leben. Es geht nicht darum, jeden Tag zu gewinnen, sondern zu wissen, wann man gegensteuern kann und wann man sich ausruhen darf.
Wer Fatigue akzeptiert, kann sie besser managen. Wer darüber spricht, kann Missverständnisse vermeiden. Und wer sich mit anderen austauscht, merkt: Man ist nicht allein. Und das alleine ist doch auch schonmal eine gute Erkenntnis, oder?
Ich wünsche dir auf jeden Fall alles Gute und Grüße dich unbekannterweise.
Bis denn dann,
Paul
Quellen & weiterführende Literatur
Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG). Fatigue bei MS. www.dmsg.de
Multiple Sclerosis Journal, „Mechanisms of MS-related fatigue“ (2018)
Cochrane Library: Interventions for fatigue in multiple sclerosis
MSIF – Multiple Sclerosis International Federation: Fatigue Factsheet
Penner IK, Paul F. Fatigue bei Multipler Sklerose. Nervenarzt. 2017;88(5):550-558
NICE Guidelines (UK) – Managing Fatigue in Multiple Sclerosis
Motl RW et al. Exercise Training and Fatigue in MS: A Meta-Analysis. Psychosomatic Medicine. 2017
MS Brain Health: Fatigue management strategies